Zeitungsartikel Neue Westfälische vom 22.03.2022 Gefangene renovieren Haus für Ukraine-Flüchtlinge Quelle: Neue Westfälische vom 22.03.2022

Von Ariane Mönikes

Mitte/Senne. Für Denis (44) und Ksenia (35), die Kinder Agatha (4), Asia (4), Afina (7) und Alisa (9) sowie Oma Ludmilla (63) waren es die wohl schlimmsten Tage ihres Lebens: Als Putins Truppen in die Ukraine einmarschierten, packten sie Hals über Kopf ihre Sachen. Sie wollten raus aus Kiew, ließen ihr Haus, ihre Freunde und ihre Jobs hinter sich und fuhren in Richtung Deutschland. "Mit dabei hatten wir nur ein paar Rucksäcke", sagt Ksenia, die in der Ukraine als Juristin gearbeitet hat.

Die Familie entkam dem Krieg, konnte gerade noch rechtzeitig das Land verlassen. In Bielefeld fand sie zunächst Unterschlupf in einer Zwei-Zimmer-Wohnung - viel zu klein für drei Erwachsene und vier Kinder. Trotzdem war er froh, dass seine Familie hier sicher ist, sagt Vater Denis. Dank des Vereins "begegnen" kann die Familie jetzt in ein Haus an der Petristraße umziehen.

Damit aber überhaupt jemand in dem ehemaligen Pfarrhaus, das eine ganze Weile leer stand, wohnen kann, muss einiges gemacht werden. Bei den Renovierungsarbeiten hat die Familie große Unterstützung von zwei Gefangenen: Abdulla Hayhat und Sabah Mustafa. Sie streichen Wände, legen PVC, bauen Möbel auf.

Sie kamen 2016 als Flüchtlinge aus dem Irak

Die beiden kamen selber 2016 als Flüchtlinge aus dem Irak nach Deutschland, standen ohne Hab und Gut vor dem Nichts. Sie wurden straffällig, wegen Brandstiftung sitzen sie in der JVA Bielefeld-Senne, erzählt Abdulla. Weil sie im offenen Vollzug sind, dürfen sie tagsüber raus und zur Schule gehen. Dort stand gerade ein Schülerpraktikum an, das die beiden sinnvoll nutzen wollten, erzählen sie. Das machen sie nun unter dem Dach des Vereins "begegnen" im Haus der Flüchtlingsfamilie. Die JVA Bielefeld-Senne hat schon öfter mit dem Verein zusammengearbeitet, erzählt JVA-Pressesprecher Axel Berger. "Eine tolle Sache", sagt Katharina Arditi, Geschäftsführerin des Vereins. Erst im Herbst hatte dieser gemeinsam mit der JVA und der Jüdischen Kultusgemeinde ein Bildungsprojekt auf die Beine gestellt.

Abdulla Hayhat und Sabah Mustafa sind in der JVA-Außenstelle Clarholz am Jungtäterprogramm angebunden. Sie sind froh, dass sie raus dürfen, von erfahrenen Kollegen wie Maler Frank Zick etwas lernen können. Daniel Schulte, der das Jungtäterprogramm betreut, kommt regelmäßig vorbei und schaut nach dem Rechten. Die beiden Gefangenen wollen der Gesellschaft etwas zurückgeben, sagen sie. Sie wissen, wie man sich fühlt, wenn man als Flüchtling in ein fremdes Land kommt. "Wir konnten die Sprache nicht, kannten niemanden hier", sagt Sabah. Und dann ist da die Angst um die Familie in der Heimat.

Jüdische Kultusgemeinde bringt Essen vorbei

Die aus der Ukraine geflüchtete Familie ist unendlich dankbar, so gut in Bielefeld aufgenommen worden zu sein. Eines ihrer Kinder hat eine Behinderung, hatte erst kürzlich eine OP an der Wirbelsäule. "Wir sind froh, dass wir ihr helfen konnten", sagt Axel Berger.

Katharina Arditi hat sich in den vergangenen Wochen sehr stark mit der Ukraine beschäftigt, erzählt sie. Auch, weil sie dort persönliche Kontakte habe. "Da wird noch viel Arbeit auf uns zukommen", sagt sie. "Ohne den Zusammenhalt, den es hier in Bielefeld gibt, könnte man das nicht bewerkstelligen." Und so gibt es auch in dem Haus an der Petristraße jede Menge helfende Hände: Die Jüdische Kultusgemeinde kümmert sich, bringt der Familie Essen. "Wir sind den Menschen hier sehr dankbar", sagt Ksenia. "Es ist ein tolles Zuhause, das wir hier gefunden haben." Irgendwann aber, so hofft sie, kann die Familie wieder in ihre Heimat zurück.