Zeitungsartikel Westfalen-Blatt vom 19.03.2022 Häftlinge helfen Flüchtlingen Quelle: Westfalen-Blatt vom 19.03.2022

Von Stephan Rechlinund

Bielefeld WB Zwei inhaftierte Brandstifter verlegen soeben neuen PVC-Boden im Pfarrheim der evangelischen Petrikirchengemeinde an der Petristraße. Es ist eine jener unglaublichen Konstellationen, die durch den Krieg in der Ukraine hervorgerufen wird.

Dabei ist sie nur möglich, weil der Bielefelder Verein Begegnung fest an die Aussöhnung der verschiedenen Religionen glaubt. Die beiden verurteilten Brandstifter heißen Abdulla Hayhat und Sabah Mustaf. Sie stammen aus dem Irak, sind Mitte 20 und haben bereits drei Jahre im geschlossenen Vollzug hinter sich gebracht. Jetzt, im offenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne, Außenstelle Clarholz, holen sie am Berufskolleg in Gütersloh ihren Schulabschluss nach. Dazu benötigen sie auch ein Praktikum.

Dabei hilft ihnen der gelernte Maler und Lackierer Frank Zick. Den Einsatzort in Bielefeld hat Katharina Arditi vom Verein Begegnen vorgeschlagen: „Wir streben an, Menschen muslimischen, christlichen und jüdischen Glaubens zusammenzubringen, um Vorurteile abzubauen und ein besseres Kennenlernen zu ermöglichen.“ All‘ das gelingt im Pfarrhaus an der Petristraße.

Das Haus stellt die evangelische Kirche in Bielefeld zur Flüchtlingsaufnahme zur Verfügung. Einziehen wird hier eine siebenköpfige Familie, die vor gut einer Woche aus Kiew geflüchtet ist. In Bielefeld leben Onkel und Tante, beide Angehörige der jüdischen Kultusgemeinde. Irith Michelsohn gehört deren Vorstand an: „85 Prozent unserer Gemeindemitglieder stammen aus der Ukraine.“ In den ersten Tagen sei die Familie in der kleinen Mietwohnung der Bielefelder Verwandten untergekommen: „Das ist nicht länger möglich.“

Weil Mutter Ludmilla, Vater Dennis und die Töchter Alisa, Alchina, Assija, Agatha und Ksenia nur etwas Kleidung und ihre Dokumente im kleinen Auto mitgebracht haben, benötigen sie alles weitere für den täglichen Bedarf aus Spenden. Die Stadt stellt ihnen eine Waschmaschine und einen Trockner in den Keller. Vater Dennis durfte mit ausreisen, weil die Familie mehr als drei Kinder hat und die kleine Alisa unter einer Behinderung leidet: „Ich bin allen Menschen hier sehr dankbar.“

Mit dem Verlegen des PVC-Bodens sind Abdulla Hayhat und Sabah Mustaf soweit durch. Jetzt legen sie mit Frank Zick draußen im Garten eine Zigarettenpause ein, danach werden sie die Wände und Decken weißen: „Das Praktikum und die Arbeit hier sind eine Chance für uns. Vielleicht ergibt sich daraus ja die Möglichkeit, nach der Haft einen Arbeitsplatz zu finden.“