Zeitungsartikel Neue Westfälische vom 13.07.2021 Frisches Gemüse aus dem Gefängnis Quelle: Neue Westfälische vom 13.07.2021

Von Ariane Mönikes

Bielefeld. Einmal in der Woche fährt Sigrid Engel (81) in die JVA Senne. „Dienstag ist mein Knast-Tag", sagt sie. Sie kommt hier nicht her, um jemanden zu besuchen. Nein, die rüstige Dame kauft hier regelmäßig ein. Gurken, Frühlingszwieblen und Schnittblumen landen in ihrem Korb. „Das Gemüse hält mich fit", sagt sie.

Hier im Hafthaus Ummeln an der Zinnstraße gibt es hinter dicken Mauern einen Knastladen. Seit den 1990er Jahren schon verkaufen die Häftlinge hier, was sie auf dem Feld nebenan geerntet haben. Der Andrang ist groß, denn die Chemiekeule wird hier nicht geschwungen, sagt Jens Seidler, stellvertretender Anstaltsleiter. Die Ware ist so beliebt, dass sie sogar in anderen Teilen NRWs verspeist wird. So kauft Sigrid Engel regelmäßig Tomaten für ihre Tochter – und die lebt immerhin in der Nähe von Köln.

Das größte Gefängnis Europas

Die JVA Bielefeld-Senne, eine Anstalt des offenen Vollzugs, ist mit 1.569 Haftplätzen das größte Gefängnis Europas. 1.173 Häftlinge sitzen derzeit hier ein, alleine im Hafthaus Ummeln sind es 217. Die Insassen sollen in der Gartenabteilung nicht nur beschäftigt werden, sie sollen auch wieder in die richtige Bahn gelenkt werden. So können sie sich hier auch weiterqualifizieren, wenn sie länger einsitzen müssen. Für viele sei es das erste Mal überhaupt, dass sie arbeiten, sagt Ausbilderin Heike Bohle.

Das Besondere: Männer und Frauen arbeiten hier gemeinsam; ein wichtiges Element, um die Insassen auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten. Die Knast-Arbeit ist eben auch Therapie. „Wegsperren bringt nichts", sagt Jens Seidler. „Die Arbeit hier ist für die Gefangenen eine einmalige Chance."

„Wir öffnen uns zur Bevölkerung."

Der Gartenbereich ist sehr beliebt: Die Häftlinge sehen etwas wachsen, von der Aussaat bis zur Ernte, sagt Bohle. Das sei für viele eine tolle Erfahrung. Und: Bei gutem Wetter halten sie sich lange draußen auf. Das tue vielen gut. Chris Menke macht an diesem Tag Kasse. Seit Februar sitzt er in der JVA ein, topft Blumen um, gießt sie. „Die Arbeit macht mir Spaß", sagt er. Auch mit dem Binden der Sträuße werde es immer besser. Ein paar Wochen hat er noch, dann hofft er, draußen einen ähnlich guten Job zu bekommen.

Es ist noch gar nicht so lange her, da musste der Gefängnis-Garten verkleinert werden: Vor drei Jahren gingen 12.000 Quadratmeter Garten verloren, als in der benachbarten JVA Bielefeld-Brackwede die Arbeiten für ein neues Hafthaus begannen. Eine große Mauer steht dort bereits in Sichtweite. „Wir konnten aber Ackerfläche dazu kaufen, so dass wir bald annähernd wieder auf dieselbe Größe wie damals kommen", sagt Seidler. Das freut die Kunden, denn dementsprechend größer ist das Angebot. Möhren, Schwarzwurzeln, Bohnen und Kartoffeln sollen hier demnächst wachsen.

Was weg ist, ist weg

Nachschub gibt es allerdings nicht. Was weg ist, ist weg. So lohnt es sich, pünktlich zu kommen, weiß Sigrid Engel. Zu Spitzenzeiten würden schon mal 10 bis 15 Kunden vor dem Tor warten. „Wir haben eine super treue Stammkundschaft", sagt Heike Bohle, die die Gefangenen im Bereich Zierpflanzen und Floristik betreut. Jeder, der will, kommt hier rein. Das Tor ist zu den Verkaufszeiten geöffnet, zum Haftbereich haben die Kunden allerdings keinen Kontakt.

Aber nicht nur Kunden von draußen, auch die Bediensteten und Gefangenen kaufen hier ein. „Wenn sie ihre Angehörigen mit Blumen überraschen wollen", sagt Bohle. Sie erinnert sich noch, vor Muttertag habe sie 60 Sträuße gebunden. Aber auch in der Adventszeit herrscht Hochkonjunktur im Knastladen. Um die 100 Kränze und Gestecke seien im vergangenen Jahr über die Ladentheke gegangen, vieles auf Bestellung.

Marmeladen aus eigener Produktion

Wer hier stöbert, finde immer etwas: Marmeladen und Fruchtaufstriche aus eigener Produktion werden hier verkauft, genau wie Imkerhonig aus den eigenen Imkereien und Keramiktöpfe, Beet- und Balkonpflanzen.

Auch Vogelhäuser aus Holz, die in der JVA gefertigt werden, gibt es hier. Susanne Solms hält danach Ausschau. Die gebürtiger Quellerin kommt seit fünf Jahren regelmäßig in den Knastladen. „Es spricht sich rum", sagt sie. Kundin Marianne Voß lobt die Qualität, im Supermarkt kaufe sie kaum noch Gemüse. „Da sind Welten zwischen." Sie weiß aber auch, wenn sie so mach einem erzähle, sie komme gerade aus dem Knast, gucke der ein oder andere schon mal komisch. Neugierig seien sie aber alle und würden mittlerweile auch hinfahren, sagt sie.

Niedrige Preise

Die Preise im Knastladen sind niedrig, die JVA aber will den Hofläden in der Region keine Konkurrenz machen „Bei uns steckt ein anders Ziel dahinter", sagt Jens Seidler. Die Arbeitstherapie zum einen, aber auch das Signal nach draußen. „Wir öffnen uns zur Bevölkerung." Für viele sei ein Gefängnis ein schwarzes Loch, hier passiere aber nichts Geheimes. Die Gefangenen würden lediglich auf das Leben in Freiheit vorbereitet. Aber: „Eingesperrt sein möchte ich hier nicht", sagt Seidler. „Man ist hier fremdbestimmt."

Geöffnet ist der Knastladen an der Zinnstraße dienstags von 9.30 bis 12.30 Uhr und donnerstags von 13.30 bis 15.30 Uhr. Auch im Hafthaus Senne gibt es einen Knastladen, der Andrang sei ähnlich groß, sagt JVA-Sprecher Axel Berger.