Zeitungsartikel Westfalen-Blatt vom 27.04.2021 Häftlinge haben wieder einen Garten Quelle: Westfalenblatt vom 27.04.2021

Von Peter Bollig

Ummeln WB. Der Spargel sitzt schon im Boden, anderes Gemüse wartet im nahen Gewächshaus noch darauf, aufs freie Feld gepflanzt zu werden. Der Acker an der Umlostraße steht bereit, in einer weiteren Saison Lebensmittel zu produzieren, die Ernte ist hier aber nur ein Nebenprodukt: Das rund einen Hektar große Feld soll von jetzt an helfen, Menschen wieder in die richtige Spur zu bringen. 

Denn das Stückchen Land gehört seit kurzem zum Knastgarten des benachbarten Hafthauses Ummeln, Teil der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bielefeld-Senne – mit 1600 Haftplätzen das größte Gefängnis Deutschlands. Die Arbeit darauf dient nicht nur der Beschäftigung der Insassen. Die Gefangenen können sich im Gartenbau weiterqualifizieren, wenn sie länger einsitzen sogar einen Berufsabschluss machen. Und sie ist eine Therapie, wie JVA-Leiterin Kerstin Höltkemeyer-Schwick erklärt. 

„Es sind vor allem Häftlinge mit einer Drogensucht, die hier arbeiten.“ Etwas wachsen zu sehen, von der Aussaat bis zur Ernte, „das ist für viele eine tolle Erfahrung“, und für einige Insassen überhaupt das erste Mal, dass sie „richtig ans Arbeiten kommen“, sagt Ausbilderin Heike Bohle, die die Gefangenen im Bereich Zierpflanzen und Floristik betreut, während ihre Kollegin Silvia Baumgarten die Grundlagen des Gemüsebaus vermittelt. Die Häftlinge, die dem Garten zugeteilt werden, „arbeiten meistens gerne hier“, sind sie sich sicher. Die Nachfrage für diese Arbeit sei da. 

Bei der Gartenarbeit treffen zugleich männliche auf weibliche Gefangene – alles zusammen wichtige Elemente, um die Insassen auf eine Arbeit im offenen Vollzug außerhalb des Gefängnisses und am Ende auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten. 

Das sieht auch ein 33-jähriger Häftling so, der zur Gartenarbeit ausgesucht wurde: Die Arbeit an der frischen Luft und die Vielfältigkeit – das mache den Reiz aus. Seit September sitzt er in der JVA Senne ein, verbüßt eine Haftstraße bis 2022. Als gelernter Gärtner im Friedhofsbereich ist ihm diese Arbeit nicht ganz fremd. Jetzt lernt der 33-Jährige Elemente des Gemüseanbaus und der Floristik dazu und hofft, das nach seiner Freilassung beruflich nutzen zu können. 

Bis zu 40 Gefangene seien eigentlich der Gartenarbeit für zumeist ein halbes Jahr zugeteilt, sagt Heike Bohle. Das hat das Gefängnis zurückfahren müssen auf aktuell 15 Häftlinge. Denn ein großer Teil des Gartens ging vor drei Jahren verloren, als die benachbarte JVA Bielefeld-Brackwede, das Gefängnis für den geschlossenen Vollzug, mit den Arbeiten an einer Erweiterung begann. Eine große Mauer wurde dort bereits gezogen, die Bauarbeiten an einem neuen Hafthaus haben dahinter begonnen. Drei Jahre habe der Bund mit einem Landwirt verhandelt, um in JVA-Nähe die neue Ackerfläche kaufen zu können, die jetzt etwas kleiner ist als die vorherige. 

Dort sollen neben dem Spargel in Kürze auch Möhren, Pastinaken, Schwarzwurzeln und Bohnen, Sellerie, Kartoffeln und anderes Gemüse wachsen – möglichst viele Sorten, um den Häftlingen den Anbau in dieser Vielfalt beibringen zu können – alles in Bioqualität. 

Der Flächenverlust hatte Auswirkungen auch auf den anderen Teil des Gartens innerhalb des JVA-Zauns. Dort war zuvor das Refugium der Zierpflanzen, das Beete fürs Gemüse abgeben musste. Sogar ein Beachvolleyballfeld muss seitdem als Anbaufläche herhalten. Auf einem kleineren Bereich sei drei Jahre lang zwar auch die Vielfalt an Pflanzen angebaut worden, aber eben in geringerer Menge, sagt Ausbilderin Heike Bohle. 

Das hatte Auswirkungen auf den Knastladen, der seit den 1990er Jahren verkauft, was Feld und Beete hergeben. Das Angebot schrumpfte, die Öffnung für Menschen außerhalb des Gefängnisses sei eingeschränkt worden, so wie aktuell aufgrund der Corona-Pandemie. Denn Abnehmer der Feldfrüchte waren neben den Insassen und der Gefängnisküche auch Bürger aus der Umgebung. „Das Angebot ist sehr beliebt“, weiß JVA-Sprecher Axel Berger – gerade unter den Bediensteten und deren Familien. Schließlich werde in Bio-Qualität produziert, wenn auch nicht unter einem Biosiegel. 

Mit der alten Ackerfläche gingen Gewächshäuser, Folientunnel, ein Anzuchthaus sowie ein Gebäude für Büro und Aufenthalt verloren. „Das soll auf der neuen Fläche wieder entstehen“, sagt Silvia Baumgarten. Zuvor allerdings wird der Acker eingezäunt. Nicht aus Sorge, dass Häftlinge entweichen könnten, sagt Axel Berger. Im offenen Vollzug gäbe es unauffälligere Gelegenheiten, zu verschwinden; sondern um die neuen Gebäude und Gewächshäuser nach außen hin abzusichern.