Zeitungsartikel Westfalen-Blatt vom 27.03.2020 Corona: Gefängnis kauft Spiele und Rätselhefte Quelle: Westfalen-Blatt vom 27.03.2020

Von Christian Althoff

Bielefeld (WB). Es geht ums Coronavirus: Unter den Häftlingen der offenen Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne scheint es zu rumoren. Offenbar aus ihrem Kreis hat sich am Mittwoch jemand mit einem Brief an den nordrhein-westfälischen Justizminister Peter Biesenbach (CDU) gewandt. Er beklagt persönliche Einschränkungen und eine angeblich mangelnde Hygiene. Das Gefängnis bestreitet die Vorwürfe und will mit Gesellschaftspielen und Rätselmagazinen „etwas Druck vom Kessel nehmen”, wie Sprecher Frank Baucke sagt.

Die JVA Bielefeld-Senne ist eine der größten offenen Justizvollzugsanstalten in Deutschland. In ihren zwei Hafthäusern und 15 Außenstellen sind aktuell etwa 1200 Häftlinge untergebracht. Im Moment gibt es nach Angaben der Anstalt weder einen positiv getesteten Häftling noch einen Verdachtsfall.

In dem Beschwerdebrief an den Minister heißt es: „Wir sind etwa 60 Mann in unserer Außenstelle. Wir stehen seit fast zwei Wochen unter Ausgangssperre und Besuchssperre und leben in einer Art Wohngruppenvollzug zusammen.” Das sei in Zeiten, in denen Kontaktbeschränkungen verhängt würden und eine erhöhte Ansteckungsgefahr bestehe, „ein Zustand, der untragbar ist”.

Sprecher Frank Baucke: „Etwa 90 Prozent unserer Gefangenen sind tagsüber beschäftigt. Entweder bekommen sie in der JVA Un­terricht, oder sie gehen draußen einer Arbeit nach.” Allerdings dürften die Häftlinge seit einiger Zeit an den Wochenenden nicht mehr zu ihren Familien, und sie dürften in der JVA auch keinen Besuch mehr empfangen. „Wir wollen die Außenkontakte weitgehend begrenzen, um uns das Virus möglichst nicht ins Haus zu holen”, sagt der JVA-Sprecher.

Man sei den Häftlingen aber auch entgegengekommen, um die Beschränkungen abzumildern, sagt Baucke. „Sonst gilt bei uns ein striktes Handyverbot. Das haben wir aufgehoben. Jeder kann mit seinen Sozialkontakten kommunizieren.” Außerdem habe er eine „riesige Lieferung” von Gesellschaftsspielen und Rätselzeitschriften bestellt, um den Gefangenen vor allem an den Wochenenden die Zeit zu verkürzen. „Wir erwarten die Sachen jeden Tag.”

In dem anonymen Brief wird außerdem bemängelt, es gebe seit zwei Wochen „keinen Tropfen Desinfektionsmittel – weder für Hände noch zur Flächendesinfektion”. Es fehle auch an Papierhandtüchern. Duschen, Toiletten und Türklinken würden nicht mehr desinfiziert.

Der JVA-Sprecher: „Wir können nicht jedem Häftling seine Flasche Desinfektionsmittel geben. Die hat draußen auch nicht jeder. Wir haben aber genug Toilettenpapier und Papierhandtücher, und wir versuchen, die Toiletten zwei oder dreimal am Tag zu putzen.”

Der Briefschreiber meint, Väter und Ehemänner gehörten jetzt, „soweit man das verantworten kann”, zu ihren Familien. Sonst werde die JVA „ein Pulverfass”.

Dr. Marcus Strunck, Sprecher der Vollzugsabteilung im NRW-Justizministerium: „Die Situation im offenen Vollzug wird sich in den nächsten Tagen etwas entspannen. Wie auch im geschlossenen Vollzug wollen wir Platz schaffen, um im Fall Corona-infizierter Häftlinge Quarantänebereiche einrichten zu können.”

Konkret ist vorgesehen, bestimmte Häftlinge in Absprache mit den jeweiligen Staatsanwaltschaften vorübergehend aus dem Gefängnis zu entlassen, also ihre Strafe zu unterbrechen. Einen Straferlass soll es aber nicht geben.

Ausgenommen von der „Corona-Beurlaubung” sind Sexualstraftäter und andere Schwerverbrecher. Die Regelung soll nur für Häftlinge gelten, die zu einer Höchststrafe von 18 Monaten verurteilt wurden und die regulär bis zum 31. Juli dieses Jahres entlassen würden. Weitere Voraussetzungen sind gute Führung, eine Wohnung und eine Krankenversicherung.