Zeitungsartikel Haller Kreisblatt vom 19.01.2019 Frauenknast sieht anders aus Quelle: Haller Kreisblatt vom 19.01.2019

Von Jonas Damme

Steinhagen. Dass Frauen keine Straftaten begehen, ist Quatsch. Wenn sie aber kriminell werden, begehen sie oft andere Delikte, weiß Nuriye Massey. Ihr Haus ist auf Frauen spezialisiert, insbesondere auf Mütter. Der Bedarf ist groß und steigend. „Wir haben hier überwiegend Betrugsfälle und Diebstähle. Nur hin und wieder auch Körperverletzung“, erklärt die Leiterin der JVA Außenstelle Steinhagen. „Besonders Computerbetrug wird immer häufiger.“

Statistiken der Bundespolizei belegen, dass die Zahl weiblicher Delinquenten seit Jahrzehnten stetig ansteigt. Waren es 1996 noch 497.400 weibliche Tatverdächtige, lag die Zahl 2006 schon bei 550.000, 2016 waren es 593.000. „Im geschlossenen Vollzug laufen die Anstalten über“, bestätigt Frank Baucke, der bei der gesamten offenen JVA Bielefeld-Senne für die Pressearbeit zuständig ist.

Um ins Gefängnis zu kommen, braucht es nicht immer große Taten. Man erreicht es auch über betrügerische Verkäufe beim Onlinemarktplatz Ebay, durch regelmäßiges Fahren ohne Führerschein, sogar unbelehrbare Schwarzfahrerinnen hat es in der Außenstelle schon gegeben. „Man schafft es mit allem, man muss nur hartnäckig genug sein“, sagt Frank Baucke. Trotzdem hätten auch Mörderinnen schon im Haus eingesessen.

Frauen sind im Gefängnis aber nach wie vor eine extreme Minderheit. Von den mehr als 1600 Haftplätzen der JVA Bielefeld-Senne, der größten offenen JVA Europas, entfallen nur 102 auf Frauen. 50 Plätze bietet Steinhagen, nach der Weihnachtsamnestie waren davon zuletzt nur 36 belegt.

Lange war die Außenstelle am Rande des Ströhens die einzige für Frauen, im Juli kam mit Oelde – angesichts der steigenden Zahlen– ein zweite hinzu. Frauen mit Familie haben allerdings große Chancen, in Steinhagen zu landen. „Mehr als die Hälfte hier hat Kinder“, so Nuriye Massey. „In den meisten Fällen wollen die Frauen den Kontakt auch in der Haft halten.“

Nicht alle Insassinnen sind schlechte Mütter. Oft gibt es aber Defizite. Deswegen würden im Haus auch Familienseminare angeboten. „Wir arbeiten eng mit der Diakonie zusammen“, betont die Haus- Leiterin. Denn damit die Frauen in Freiheit klarkommen, brauchen sie nicht nur eine finanzielle, berufliche Perspektive, auch die Familie sollte im Idealfall funktionieren. Auf dem Schwarzen Brett im Erdgeschoss finden sich deshalb Kurse wie »Wie erreiche ich mein Kind?« oder das »Mutterstärkungsseminar«.

Überhaupt ist das Kursangebot bei den Frauen deutlich höher als bei den Männern. Nuriye Massey hat schon einen Malkurs angeboten, eine Kollegin näht mit den Insassinnen – im Männervollzug undenkbar. „Wir fahren auch schon mal in den Tierpark “sagt Massey. „Gerade wollen die Frauen alle »Speedminton« spielen“, ergänzt Vollzugsdienstbeamter Marco Paul, deswegen starten regelmäßig Gruppenfahrten in die Sporthalle des Hafthauses in Bielefeld.

Im vergangenen Jahr hatten einige Frauen des Hauses sogar erstmals ein Theaterstück auf die Beine gestellt. Gemeinsam mit einer Bielefelder Studentin und Nadine Friedrichs, der Sozialarbeiterin der Außenstelle, hatten sie unter dem Titel »Leben eben« ein Tanztheaterstück gezeigt und damit gleichzeitig ihren eigenen kulturellen Horizont erweitert. Ein Projekt, dass 2019 neu aufgelegt werden soll. „Die Frauen haben sich selbst dadurch ganz anders kennengelernt“, berichtet Nuriye Massey. „Es half ihnen bei der Reflexion des eigenen Lebens.“

Als Nächstes ist ein Kurs »Soziales Training« geplant. Darin sollen Alltagssituationen – vom Bewerbungsgespräch bis zum Versuch, jemanden zum Drogenkonsum zu überreden – nachgespielt werden.

Umsonst gibt es all das natürlich nicht. Pro Gefangenem in NRW entstanden im vergangenen Jahr täglich Kosten von 136 Euro. Angesichts der Tatsache, dass manche Insassen nur für einen Tagessatz von10 Euro einsitzen, eine große Summe.

Die teuren Resozialisierungsmaßnahmen sind aus Sicht von Frank Baucke und Nuriye Massey trotzdem alternativlos. Zwar gebe es auch heute Frauen, die später erneut verurteilt werden, ein einfaches Wegschließen sei aber vollkommen unverantwortlich. Der aktuelle Ansatz des Strafvollzuges, Resozialisierung, bedeute den letzten Schritt der Haft, die Entlassung, so klein wie möglich zu halten. Und das bedeutet auch, dass die Kinder nicht vergessen haben, wie es ist, wenn ihre Mutter im Zimmer nebenan schläft.