Zeitungsartikel Evangelisches Sonntagsblatt vom 16.12.2018 Senioren im Knast Quelle: Evangelisches Sonntagsblatt aus Bayern vom 16.12.2018


Die Zahl der Häftlinge im Rentenalter steigt seit Jahren. In der Gefangenenseelsorge werden immer häufiger Fragen des Alterns behandelt. Wie ist es, wenn man als Rentner erstmals straffällig wird und plötzlich im Gefängnis landet? Wie fühlen sich ältere Männer, wenn sie auf ein Leben mit vielen Jahren in Haft zurückblicken?

„Dies hier sind die Duschen und Gemeinschaftstoiletten. Auf den Hafträumen gibt es keine“, erklärt Frank Baucke, uniformierter Mitarbeiter der größten offenen Justizvollzugsanstalt Europas, der JVA Senne bei Bielefeld. Er führt durch die Abteilung für lebensältere Gefangene. Solche Einrichtungen haben in den letzten Jahren immer mehr Bundesländer ausgestattet, damit dort auf die speziellen Bedürfnisse älterer Menschen eingegangen werden kann.

Die zwei Etagen mit ihren 87 Haftplätzen sind die bundesweit größte Abteilung für Gefangene ab sechzig Jahren. Auf den Fluren gibt es Raum für Rollatoren, neben den Toiletten sind Haltegriffe angebracht, in den Duschen stehen Sitzhocker und die Zellenfenster haben keine Gitterstäbe. Das Gefängnispersonal hat die Aufgabe, eine menschenwürdige Behandlung der älteren Männer sicher zu stellen. Besonders arbeitsintensiv ist die Betreuung verletzungsanfälliger Häftlinge.

Frank Baucke öffnet die Tür der Zelle des Gefangenen Bruno Hesse. Der Mann sitzt in weißem Unterhemd auf seiner Bettkante. Ein großer Bluterguss ziert sein Gesicht. Zwei Tage zuvor ist er während eines Ausgangs gestürzt. „Die Wunden sind aber noch grün und blau“, bemerkt Frank Baucke. Bruno Hesse sei gestürzt, weil er an dem bewussten Morgen nur Kaffee, kein Wasser getrunken habe.

Heute macht Bruno Hesse den Eindruck eines hilfsbedürftigen alten Mannes, aber früher war er mal ein gewiefter Bankräuber. Im Rentenalter hat er etwas Neues versucht. „Ich habe Drogen gefahren, von Holland nach Deutschland. Das waren größere Mengen, ein Kilo Koks und drei Kilo Gras.“ Er wurde erwischt, versteht aber trotzdem nicht wirklich, wieso er dreieinhalb Jahre Haft bekommen hat. Die Strafe sei zu hoch, meint er. „Im Vergleich zu meiner kriminellen Vergangenheit sind solche Drogenfahrten Kleinigkeiten. Aber ich kann halt keine Banküberfälle mehr machen. So ist das eben. Das war mein Leben und dafür habe ich gebüßt.“

Seelsorge hilft weiter

Nicht wenige Häftlinge der Abteilung haben alterstypische Beschwerden: erste Anzeichen von Demenz, Diabeteserkrankungen, Kreislaufund Herzprobleme. Notwendige Behandlungen übernehmen ein Krankenpfleger und ein eigens dafür angestellter Arzt. Zudem kümmert sich die evangelische Seelsorgerin Elisabeth Biermann um die psychische Gesundheit der Männer. Die Pastorin arbeitet seit zwei Jahren mit älteren Häftlingen. Die haben viel Zeit, über ihr Leben nachzudenken. Dabei kann eine mitfühlende Gesprächspartnerin sehr wertvoll sein. „Oft geht es darum, Lebensbilanz zu ziehen“, erzählt Elisabeth Biermann. „Die Seelsorge hat ja das große Kapital Zeit. Hier können die Leute weit ausholen. Das ist viel besser als allein im Haftraum zu sitzen und zu grübeln: ‚Was ist jetzt am Ende aus meinem Leben geworden und wo bin ich gelandet?‘

Die Verwaltung des Hafthauses eröffnet der Seelsorge einen breiten Gestaltungsspielraum. So war auch die Einrichtung eines Kirchencafés möglich. Den Verkauf von Kaffee und Kuchen koordiniert der Häftling Klaus Hesterkamp. „Dieser Treff wird von dem Verein für Gefangenenseelsorge gesponsert. Hier können Häftlinge zusammenkommen, Gespräche führen, was trinken, was essen, relativ preisgünstig.“

Sich selbst zählt Klaus Hestermann noch nicht zu den Alten. Er ist Anfang sechzig und kennt die Atmosphäre in anderen Gefängnissen. Unter den jüngeren Häftlingen geht es oft sehr viel rauer zu. „Dann sind die Älteren ziemlich isoliert, weil sie viele Sachen nicht mehr mitmachen können. Sport zum Beispiel. Hier sind sie mit Gleichaltrigen zusammen. Das tut vielen gut.“

Auch Klaus Hestermann unterhält sich gerne mit den Besuchern des Gefängniscafés, denen er Kaffee einschenkt und Süßigkeiten verkauft. „Hier werden Spannungen abgebaut, weil die Leute frei reden können. Durch das offene Sitzen und die vielen Kontakte spürt man ein bisschen Freiheit. Das ist ein guter Kontrast zu den Hafträumen.“

Einige Häftlinge tauschen sich im Café über ihre Erfahrungen mit der Seelsorge aus und animieren sich gegenseitig, Kontakt auf zu nehmen, egal, ob sie Interesse an Kirche haben oder nicht. „Ich höre immer wieder, wie wertvoll die Gespräche für die Gefangenen sind“, sagt Klaus Hestermann. „Wenn es keine Seelsorge gäbe, dann würde etwas ganz wichtiges fehlen.“

Das Büro der Pastorin befindet sich im ersten Stock, direkt über dem Gefängniscafé. „Seelsorgliche Gespräche können oft sehr tief führen, weil die Leute alles aussprechen können, ohne das nachher jemand darüber lästert“, meint Elisabeth Biermann. „Oft wird aber auch viel gelacht. Hier kommt das Leben in all seinen Facetten zur Sprache.“

Häftlinge wie Klaus Hestermann oder Bruno Hesse kennen die Haftbedingungen in unterschiedlichen Anstalten. Aber es gibt auch Männer, die früher nie straffällig geworden sind. „Wenn die sich hier wiederfinden, ist das für sie zunächst sehr schwer zu verkraften“, meint Pastorin Biermann.

Einer dieser Häftlinge ohne Vorerfahrung arbeitet in der Bibliothek. Der Rechtsanwalt wurde wegen Beihilfe zum Betrug an einem Mandanten verurteilt. „Früher war ich öfters im Gefängnis, aber in anderer Funktion“, erinnert er sich. „Gefangener war ich nie. In sofern kann ich die Situation nicht mit anderen Einrichtungen vergleichen. Aber mir scheint schon, dass das hier sehr liberal ist. Das scheint mir angemessen zu sein, zumindest für ältere Leute, die kein Kapitalverbrechen begangen haben.“

Der Experte für Steuerrecht beteuert seine Unschuld und will sich nach seiner Entlassung darum bemühen, seinen Namen rein zu waschen. „Es ist schon ein Drama, wenn man seinen Job 35 Jahre lang ohne Fehl und Tadel gemacht hat und dann so einen Schlag ins Gesicht bekommt, kurz vor der Rente.“

Viele Häftlinge fühlen sich ungerecht behandelt. Andere tragen schwer an ihrem schlechten Gewissen. Manche verlieren im Gefängnis die Freude am Leben. In diesem Umfeld fühlt sich Pastorin Biermann gebraucht. Auch deshalb kommt sie gerne in die Abteilung für lebensältere Gefangene. „Ich begleite hier Menschen in einer krisenhaften Lebensphase. Das gehört zu den ureigenen Aufgaben der Kirche.“

Andreas Boueke