Zeitungsartikel Westfalen-Blatt vom 13.01.2018 Wenn Gefangene in Rente sind Quelle: Westfalen-Blatt vom 13.01.2018


Von Kerstin Sewöster

Senne (WB). Die Menschen werden immer älter – auch im Gefängnis steigt der Altersdurchschnitt. Die Justizvollzugsanstalt (JVA) Senne hat darauf reagiert und eine Lebensälterenabteilung eingerichtet – mittlerweile die größte in ganz Nordrhein-Westfalen.

87 Männer leben im offenen Vollzug für Senioren an der Senner Straße 250. Der älteste Insasse ist 83 Jahre alt. Der prominenteste Inhaftierte war zuletzt der ehemalige Manager Thomas Middelhoff.

Das Augenfälligste ist die senioren- und behindertengerechte Ausstattung in den Abteilungen, in denen die Gefangenen des offenen Vollzugs leben: Haltestangen in den Fluren und den Gemeinschaftsduschen, erhöhte Toilettensitze, die in den eigenen Werkstatt hergestellten Schränke sind leicht einzurichten und auch die Betten sind erhöht. Rollatoren und Rollstühle stehen bei Bedarf zur Verfügung.

»Wir haben 2012 mit einer Abteilung angefangen, jetzt sind wir bei zwei vollen Abteilungen«, erklärt Rolf Bahle, Abteilungsleiter und stellvertretender Leiter der JVA Senne. Nicht nur der demografische Wandel schlägt sich im Gefängnisalltag nieder. »Wir spüren auch die Altersarmut«, sagt Bereichsleiter Detlef Schlingmann. Unter den Insassen seien Männer, die während ihrer Berufstätigkeit nie kriminell gewesen seien und dann offenbar aus der Not heraus eine Straftat begangen hätten.

Ältere Gefangene des offenen Vollzugs – das Strafmaß reicht von Ersatzfreiheitsstrafe bis lebenslänglich – dürfen freiwillig entscheiden, ob sie in die Abteilungen für Ältere wollten. »Viele nehmen das Angebot an, denn in den Abteilungen mit den jungen Männer 20plus herrsche ein ganz anderer Ton, und dort gehe es auch viel lauter zu, weiß Bahle.

Die ärztliche Versorgung nimmt bei den älteren Gefangenen mehr Raum ein. In die Sprechstunde von Gefängnisarzt Uwe Tamm kommen viele Herz- und Diabetes-Patienten. Auch Krankenpfleger sind im Einsatz. Die Justizvollzugsbeamten in der Lebensälterenabteilung sind besonders geschult, überwachen zum Beispiel die Medikamenteneinnahme oder bilden sich in der Diagnostik von Demenzerkrankenungen fort. »Wir sind jedoch keine Pflegeeinrichtung «, betont Bahle. Werde ein Insasse pflegebedürftig, dann könne er im Justizvollzugskrankenhaus Fröndenberg betreut werden. Auch die JVA Hövelhof habe eine eigene kleine Pflegeabteilung.

»Unsere Insassen haben das Berufsleben hinter sich«, sagt Bahle. Wenn sich dann auch noch die Familie abwende, würden diese Insassen zur einer großen Herausforderung. »Wir kennen Fälle, die haben nichts; einige würden am liebsten hier bleiben«, weiß Bahle aus Erfahrung. Die psychologische Betreuung und die Seelsorge sind deshalb ein weiteres wichtiges Standbein der Lebensälterenabteilung, zumal von manchen das Gefängnis als letzte Lebensstation gesehen wird.

Bis zum 65. Lebensjahr sind Gefangene grundsätzlich zur Arbeit verpflichtet. Freiwillig können sie aber auch darüber hinaus Tätigkeiten in den Eigenbetrieben übernehmen. Die anderen haben eine Auswahl an Hobbies. Sogar eine Imkergruppe gibt es. Wichtig ist es, den Tag zu strukturieren. Im Idealfall knüpfen die Insassen nach Haftentlassung in Freiheit an die kennen gelernten Aktivitäten an. Das braucht Siegfried Lingg nicht. Seine Haftstrafe endet im Oktober. Auf eine eher mögliche Entlassung verzichtet der 64-Jährige, denn er will seinen Neuanfang gut vorbereiten und zeitig eine Wohnung suchen. Der gelernte Goldschmied, der wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetze insgesamt elf Jahre in Gefängnissen verbracht und drei Therapien absolviert hat, scheut das Leben in Freiheit nicht. »Meine Kinder sind groß, ich kann gut alleine sein«, sagt er. Nach drei Herzinfarkten und einem Bypass ist Lingg Frührentner und darf in einer von insgesamt drei Einzelzellen der JVA wohnen. Sein Plan für die Freiheit: »Wieder fotografieren, das kann ich hier nicht.«