Quelle: Haller Kreisblatt vom 24.10.2016

von Jonas Damme

Kontrollieren 1500 Insassen: JVA-Chefin Kerstin Höltkemeyer-Schwick leitet mit Unterstützung von Vollzugsdienstleiter Bernhard Janßen die Geschicke der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne, der größten offenen Anstalt Europas. (© joda)

Steinhagen/Bielefeld. Kriminelle wegschließen ist schon lange nicht mehr die Kernaufgabe von Gefängnissen. »Resozialisierung« heißt das Stichwort heute. Auch hinter den Mauern der drei hiesigen Außenstellen der offenen JVA Bielefeld-Senne hat sich in den vergangenen Jahren einiges verändert. JVA-Leiterin Kerstin Höltkemeyer-Schwick und Vollzugsdienstleiter Bernhard Janßen erklären die Ansätze im Pressegespräch.

Höltkemeyer-Schwick leitet die größte offene JVA Europas erst seit vergangenen Jahr. Ihr unterstehen in zwei großen Hafthäusern und 16 Außenstellen mehr als 400 Mitarbeiter und gegenwärtig etwa 1500 Insassen.

Drei der Außenstellen befinden sich im Altkreis. In Steinhagen, auf dem Ströhen, sind knapp 50 Frauen untergebracht. Die Außenstelle an der Sandforther Straße in Brockhagen ist besonders auf die Bedürfnisse von ehemaligen Drogenabhängigen ausgerichtet (Kapazität 86). In der Wertheraner Außenstelle in Theenhausen sind außerdem bis zu 51 psychisch auffällige Straftäter untergebracht. „Es ist schon etwas Besonderes, dass wir gerade in diesem Bereich drei Außenstellen mit besonders interessanten Schwerpunkten haben", erklärt Höltkemeyer-Schwick. 

Insgesamt ist es aber kein Zufall, dass die meisten ihrer Einrichtungen Aufnahmeschwerpunkte haben. „Wir sprechen heute von Behandlungsvollzug", so Höltkemeyer-Schwick, „wir verwahren ja nicht einfach." Gerade im offenen Vollzug gebe es immer neue Angebote, die die Insassen wahrnehmen könnten. „Arbeitspflicht herrscht natürlich überall", sagt sie. Darüber hinaus gebe es aber freie Angebote, die sich positiv auf das Sozialverhalten auswirken sollen.

In der Frauenaußenstelle auf dem Ströhen gibt es zum Beispiel eine regelmäßige Nordic-Walking-Gruppe, Nähkurse und künstlerische Aktivitäten. Aber auch pädagogische Maßnahmen, wie »Elterntraining« würden angeboten.

„Grenze zu Maßregelvollzug wird immer fließender"

„Viele Insassen müssen überhaupt erst ihre eigenen Stärken kennenlernen", erklärt Bernhard Janßen. Seit 30 Jahren ist der Dienstleister im Vollzug beschäftigt. Er kennt also die Veränderungen: „Vor 20 Jahren gab es so etwas nicht, da war die Lagermentalität noch sehr viel ausgeprägter."

Gleichzeitig machen beide aber auch seit einigen Jahren verstärkt Probleme aus. „Das Klientel wir immer auffälliger. Die Grenze zwischen Maßregelvollzug (psychisch kranke oder suchtkranke Täter) und normalem Vollzug wird immer fließender. Viele sind psychisch angeschlagen", so Höltkemeyer-Schwick. „Das legt aber auch daran, dass sich die Gesellschaft verändert hat", ergänzt Janßen. Entsprechend sei es eine wichtige Aufgabe aller Vollzugsbeamten (unterstützt durch Sozialarbeiter, Psychologen und Seelsorger) Konflikte zu schlichten und gewaltfreie Wege aufzuzeigen.

Der offene Vollzug ist übrigens nicht nur harmlosen Tätern vorbehalten. Stattdessen soll möglichst jeder Straftäter das Ende seiner Haft so verbringen. „Das ist der einzige Weg, sonst findet man sich im Leben nicht mehr zurecht", so Höltkemeyer-Schwick. Im Idealfall sei der Straftäter am Ende seiner Haftzeit sozial so sehr eingebunden, dass er überhaupt nicht mehr in Kontakt mit kriminellen Kreisen komme. „Menschen einfach wegzuschließen ist die schlimmste Gefährdung für die Allgemeinheit."

Die Zahl der allgemein gefürchteten »Entweichungen«, also der Insassen, die am Abend nicht in ihre Zellen zurückkehrten, ist nach wie vor gering. Nur rund 0,1 Prozent, genau 86 Gefangene, seien 2015 fern geblieben. Auch sie seien fast immer innerhalb kürzester Zeit wieder aufgetaucht. „100-prozentige Sicherheit gibt es aber nicht. Das Restrisiko muss die Gesellschaft tragen", so Höltkemeyer-Schwick.

Genauso wie im geschlossenen spielen auch im offenen Vollzug Straftäter mit ausländischem Hintergrund eine immer größere Rolle. Rund 23 Prozent der Insassen der JVA Bielefeld-Senne haben gegenwärtig ausländische Eltern. Besonders Straftäter aus den Maghreb-Staaten würden häufiger. Entsprechend mache man sich mehr Gedanken darüber, wie man diese Menschen resozialisieren könne. So werde die JVA bald einen Integrationsbeauftragten einstellen. Auch Dolmetscher würden häufig benötigt. „Diese Neuerungen stehen aber noch am Anfang", so die JVA-Chefin.