Zeitungsartikel Neue Westfälische vom 03.07.2015 Musik ohne Grenzen Quelle: Neue Westfälische vom 03.07.2015


VON JANINE GÜTLINGER

Senne. „Kultur ist für alle da“, sagt Martin Beyer, Geschäftsführer der Bielefelder Philharmoniker, am Mittwochabend und erntet für seine Aussage donnernden Applaus. Etwa 600 begeisterte Zuhörer tummeln sich vor der großen Open-Air-Bühne auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Senne. Die Stimmung ist, wie das Wetter, einfach bombig: „Tolle Musik, tolles Essen, tolles Ambiente. Was will man mehr?“, meint Besucherin Hildegard.

„Es war für alle Mitwirkenden ein Kraftakt, der sich aber gelohnt hat“, berichtet Kulturkreisvorsitzender Hans Friedrich Thoben. Gemeinsam mit dem Verein für Gefangenenseelsorge und zahlreichen Mitarbeitern und Inhaftierten der JVA hat der Kulturkreis Senne sich bis zur letzten Minute ins Zeug gelegt. Zelte und Sitzgelegenheiten mussten aufgebaut, die Technik musste installiert und die Außenanlage auf Vordermann gebracht werden.

Auch das Essen wollte vorbereitet sein – „Ich habe gefühlte 250 Kilo Kartoffeln für den Salat geschält“, erzählt JVA Insasse Joachim mit einem Augenzwinkern. „Die Vorbereitungen waren anstrengend, aber es war eine schöne Abwechslung vom Alltag“, ergänzt Mithäftling Stefan. Die viele Mühe hat sich offensichtlich gelohnt.

„Es ist unglaublich hier. Die Anlage ist sehr schön angelegt und gepflegt, die Atmosphäre super. Da musiziert man doch gleich noch mal so gerne“, erzählt Magarete Fidler, Klarinettistin der Philharmoniker. Dass bei den erfahrenen Musikern eine große Portion Herz und mindestens eben soviel Können dahinter steckt, entgeht wohl keinem der Zuhörer. Gebannt lauscht man den Stücken von Giacomo Puccini, Calvin Custer, Wolfgang Amadeus Mozart, Andrew Lloyd Webber und anderen Größen. Unter der Anleitung von Generalmusikdirektor Alexander Kalajdzic geben die etwa 55 Orchestermitglieder trotz dermehr als warmen Temperaturen alles und fesseln das Publikum an die Stühle. „Das ist Musik vom Feinsten“, sagt Besucherin Sigrid.

Während des Auftritt belagert man bildlich gesehen die Bühne, in der Pause kommen die Helfer am Würstchen- und Getränkestand kaum zum Durchatmen. „Die Würstchen sind wirklich ein kulinarisches Erlebnis“, meint Besucherin Ingrid und Ehemann Ingo nickt zustimmend.

Für reges Interesse sorgen auch Produkte aus dem Gefangenen-Shop. Futterhäuser, Spielzeug, Schmuck und allerlei andere sorgfältig gearbeiteten Kleinigkeiten aus Holz wandern über die Theke. „Der Verkaufsschlager sind und bleiben wohl die Grillzangen“, erzählt JVA-Mitarbeiter Jens Braaf. „Wir sind nahezu ausverkauft, die Besucher sind begeistert, die Stimmung ist toll. Mehr können wir uns eigentlich nicht wünschen“, meint Daniel Rilli, Vereinsvorsitzender der Gefangenenseelsorge. Auch der stellvertretende Leiter der Justizvollzugsanstalt Senne, Oliver Burlage, ist sehr zufrieden: „Hier kann sich die JVA mal ganz anders präsentieren. Die Inhaftierten haben sich sehr auf dieses besondere Ereignis gefreut und sind heute definitiv nicht enttäuscht worden“, so sein Fazit.

Besucherzahl verdoppelt

„Unsere vierte Veranstaltung von, Kultur im Knast ist größer als jede andere zuvor“, sagt Kulturkreisvorsitzender Hans Friedrich Thoben am Rande der Veranstaltung. 2012 lockte ein Theaterstück, 2013 sorgte der Auftritt der erfolgreichen Dixieland-Band „Dr. Lippenkraft“ für Vergnügen und im vergangenen Jahr gaben sich verschiedene bekannte Bands der Umgebung wie „Shortcut“, die Ehre. „In den vergangenen Jahren kamen immer um die 300 Besucher zu ,Kultur im Knast’. Mit 600 Besuchern, inklusive der Inhaftierten und Kollegen, haben wir einen neuen, phantastischen Besucherrekord erreicht“, meint Frank Baucke, Freizeitkoordinator der Justizvollzugsanstalt Senne. (jag)