Zeitungsartikel Westfalen-Blatt vom 03.07.2015 Abweschlung im Knast-Alltag Quelle: Westfalen-Blatt vom 03.07.2015


Bielefeld (JaD). Die Bielefelder Philharmoniker haben in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Senne vor ungewöhnlicher Kulisse ein Freiluft-Konzert gespielt. 600 Besucher und Häftlinge lauschten gleichermaßen den Klängen klassischer und moderner Musik – und nutzten die Chance, Vorurteile abzubauen.

Es ist heiß im Garten der JVA. Das Thermometer ist jenseits der 30 Grad. Doch zum Glück liegen weite Teile des Zuschauerraums im Schatten. Ein leichter Wind verschafft die nötige Abkühlung. Das Wetter und die Musik vermitteln eine gute Portion Gemütlichkeit. Gartenfest-Gefühl statt Strafvollzug – eine willkommene Abwechslung im Knast-Alltag.

»Das Konzert bietet die Möglichkeit, uns ganz anders der Öffentlichkeit zu präsentieren«, sagt der stellvertretende JVA-Leiter Oliver Burlage. »Eine Veranstaltung dieser Größenordnung hat es hier noch nicht gegeben. Das ist einmalig. « Hans Friedrich Thoben, Vorsitzender des Kulturkreises Senne, betont: »Es geht darum, Vorurteile abzubauen und dabei Kultur an ungewöhnlichen Orten zu erleben.« Ahmet A., Insasse des offenen Vollzugs, freut sich über so viel Engagement: »Das Konzert ist eine tolle Abwechslung für die Häftlinge. Und es ist schön zu sehen, dass sich die Menschen nicht durch Vorurteile abschrecken lassen.«

»Kultur im Knast« – bereits zum vierten Mal organisiert der Kulturkreis Senne mit der JVA unter diesem Motto Veranstaltungen im Gefängnis. Für die Philharmoniker ist es der erste Auftritt im Gefängnis. »Musik ist für alle da und soll jeden erreichen«, betont Generalmusikdirektor Alexander Kalajdzic im Vorfeld. Die erste Hälfte des 90-minütigen Konzerts legt den Akzent auf klassische Musik: eine Ouvertüre aus Mozarts »Zauberflöte« oder Ausschnitte aus Puccinis »La Bohème «. Nach der Pause werden Musical-Stücke, etwa »Das Phantom der Oper«, und Film-Musik wie das Thema aus »Mission Impossible« gespielt.

»Für die Gefangenen ist das Konzert ein Highlight. Sie sind hoch motiviert«, betont Daniel Rilli vom Verein für Gefangenen-Seelsorge. Die Insassen helfen beim Auf- und Abbau sowie beim Essens- und Getränkeverkauf. Daneben bieten die Inhaftierten des Gartenbaubetriebs und der Holzwerkstatt ihre selbst gefertigten Produkte wie Vogelhäuser oder Edelstahl-Grills an.

Etwa ein Drittel der 600 Zuschauer sind Gefangene. Man kommt sich näher – jedenfalls oberflächlich. Manch interessierter Besucher nutzt die Gelegenheit jedoch auch zu einem Gespräch. Mona Barmeier und René Colling sind zum ersten Mal bei »Kultur im Knast«. »Das Konzept hört sich sehr interessant an«, sagt René Colling. »Man erhält Einblicke in eine Welt, die man sonst nicht betritt.«

Nach zwei Zugaben bekommt Alexander Kalajdzic, stellvertretend für das Orchester, zum Dank ein buntes Vogelhaus überreicht – gefertigt von den JVA-Insassen.