In der Regel bedeutet ehrenamtliches Engagement, dass freiwillig und unentgeltlich Aufgaben übernommen werden, welche der Staat oder andere Stellen nicht allein übernehmen können. Kurz gesagt, opfert jemand seine Freizeit, um anderen Menschen zu helfen.

Im Strafvollzug des Landes Nordrhein-Westfalen besteht nicht nur die Möglichkeit, sich als ehrenamtliche Betreuerin oder ehrenamtlicher Betreuer zu engagieren; vielmehr ist mittlerweile - aus Sicht der Verfassenden – ehrenamtliches Engagement ein unverzichtbarer Teil des Strafvollzuges geworden. Ehrenamtliche Betreuerinnen oder Betreuer unterstützen die Arbeit im Strafvollzug, indem sie Gefangenen bei der Bewältigung von Schwierigkeiten oder bei besonderen Problemlagen helfen. In der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne helfen die Ehrenamtlichen bei der Entlassungsvorbereitung, insbesondere bei Begleitausgängen oder als Ansprechpartnerinnen und -partner bei der Eingliederung in das Leben in Freiheit. Soweit kennt das jede oder jeder, die oder der im Strafvollzug beschäftigt ist. Nach unserer Auffassung verfügt jedoch jede Person über Kenntnisse und Fähigkeiten, die anderen helfen können, besondere Problemlagen zu lösen - selbstverständlich auch Gefangene! Unvorstellbar? Wohl kaum.

Es ist natürlich eine besondere Herausforderung, Gefangene für ein Ehrenamt zu begeistern. Es ist aber auch eine Frage, ob sich Gefangene zutrauen - trotz Straffälligkeit und dem Gefühl des eigenen Versagens - anderen Menschen helfen zu können. Gleichwohl konnte die Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne, unter den besonderen Voraussetzungen des offenen Vollzuges und der Struktur mit zwei Hafthäusern und 15 Außenstellen, eine Vielzahl von Gefangenen dazu ermutigen, ehrenamtlich tätig zu werden. Neben zahlreichen kleineren ehrenamtlichen Tätigkeiten von Gefangenen - wie u.a. der Teilnahme an Müllsammelaktionen - wurden und werden insbesondere folgende innovative Projekte im Ehrenamt von Gefangenen begleitet:

Projekt „Manpower"

Im Rahmen des Projekts „Manpower" haben über 70 Gefangene in den vergangenen drei Jahren ehrenamtlich öffentliche Spielplätze und Spielplätze von Kindertagesstätten wieder instand gesetzt und/oder diese umgestaltet. Dabei kooperierten in einem wahrscheinlich bundesweit einmaligen Projekt die beiden JVA-Außenstellen Gröblingen und Westkirchen mit den angrenzenden und im Umkreis liegenden Städten und Gemeinden. Anfängliche Skepsis und Sorgen auf Seiten der Eltern sowie Nachbarinnen und Nachbarn konnten durch das beachtliche Engagement der Gefangenen, die dadurch resultierenden Ergebnisse sowie durch die gelebte offene Kommunikation und Transparenz des Projektes und ein besonderes Eignungsprüfverfahren für die teilnehmenden Gefangenen frühzeitig zerstreut werden. Das Baumaterial wurde von den Städten und Gemeinden zur Verfügung gestellt - das „Know How" und die Muskelkraft von den ehrenamtlich tätigen Gefangenen. Neben Gefangenen, die über eine Ausbildung im Garten- und Landschaftsbau oder in der Dachdeckerei verfügen, waren auch Gefangene im Einsatz, die keine abgeschlossene Ausbildung besitzen. Auch diese Gefangenen konnten sich wunderbar in das Projekt einbringen. Die ehrenamtliche Tätigkeit fand regelmäßig am Samstag statt. Neben der Aufarbeitung, Instandsetzung oder dem kompletten Austausch der Spiel- und Turngeräte wurden u.a. rund 61 Tonnen Sand eingebracht, 72 Tonnen Mutterboden umgesetzt, 300 qm Steine gepflastert, 2.600 qm Rollrasen verlegt und der gesamte Grünschnitt erledigt. Es wurden Bäume gefällt, Rindenmulch ausgebracht, Sandkästen angelegt und Blumen gepflanzt. Das Feedback aller Beteiligten war ausgezeichnet. Regelmäßig wurde zurückgemeldet, dass sich die ehrenamtlich tätigen Gefangenen vorbildlich verhielten, durch Zuverlässigkeit und einen hohen Arbeitseinsatz glänzten und es in keinem Fall zu Beanstandungen gekommen sei. Die Gefangenen selbst konnten durch ihre Tätigkeit eine hohe Resonanz und Anerkennung von allen Seiten (Eltern, Stadtvertretung, Kita-Trägerinnen und-Träger, Kinder etc.) erfahren. Die Gefangenen teilten mit, dass etwa gemalte Bilder der Kinder als „Dankeschön" eine große Motivation gewesen seien, der Gesellschaft etwas zurückzugeben.

Dieses Projekt zeigt, dass ehrenamtliches Engagement unverzichtbar ist und Gefangenen eine sinnstiftende Tätigkeit ermöglicht. Es sind Spielplätze entstanden und instand gesetzt worden, für die sonst das Geld gefehlt hätte. Im Ergebnis konnten die Gefangenen durch ihr ehrenamtliches Engagement zeigen, dass sie Teil der Gesellschaft sind, und die Gesellschaft konnte lernen, das zu akzeptieren.

Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine

In Zusammenarbeit mit dem Verein „begegnen e.V." und der jüdischen Kultusgemeinde Bielefeld haben drei Gefangene für eine geflüchtete ukrainische Familie ehrenamtlich ein komplettes Haus in Bielefeld renoviert. Neben diversen Malerei-Arbeiten wurde u.a. auch neuer Boden verlegt. Zwei der drei Gefangenen stammen aus dem Irak und sind 2016 selbst aus ihrem Heimatland geflohen. Beide waren zuvor bereits rund drei Jahre im geschlossenen Vollzug untergebracht. Nach der Verlegung in den offenen Vollzug wurden beide in das Jungtäterprogramm der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne in der Außenstelle Clarholz integriert, wo sie in Zusammenarbeit mit dem Berufskolleg Gütersloh ihren Schulabschluss nachholen. Bei den Arbeiten wurden beide unterstützt von einem weiteren Gefangenen, der über eine abgeschlossene Berufsausbildung als Maler verfügt. Die siebenköpfige Familie aus der Ukraine war sichtlich beeindruckt von der Hilfe, die sie erhielt, insbesondere als sie erfuhr, dass zwei der Helfenden junge Männer sind, die selbst aus ihrem Heimatland geflohen sind. Im Sinne des Vereins ,,begegnen e.V." haben sich in dieser einzigartigen Konstellation Menschen kennengelernt, die muslimischen, christlichen und jüdischen Glaubens sind und durch die Interaktion Vorurteile abbauen konnten. Die Gefangenen haben – auch gegenüber der lokalen Presse - mitgeteilt, dass sie wüssten, wie man sich fühle, wenn man als Geflüchteter in ein fremdes Land komme, niemanden kenne und die hiesige Sprache nicht spreche. Sie seien froh, dass sie auf diese Weise mit ihrem Engagement der Gesellschaft etwas hätten zurückgeben können.

Ehrenamt im Museum

Unmittelbar vor den Toren des Hafthauses Senne liegt das Museum Osthusschule. Es wird vom „Förderverein Ostbusschule e.V." betrieben, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, etwas aus der Schulkultur unserer Großeltern und Urgroßeltern in die Gegenwart „herüber zu retten". Neben verschiedenen Gebäuden umfasst das Gelände auch eine ca. 7.000 qm große Außenanlage mit einem Waldlehrpfad, einem Rosengarten und reichhaltiger Botanik. Ein großes Gartengelände, das viel Pflege benötigt, in unmittelbarer Nähe zu einer großen Justizvollzugsanstalt? Da lag eine Kooperation nahe, auch um den Gefangenen eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung zu ermöglichen. Einmal wöchentlich arbeiten jeweils zwei Gefangene mit und mähen den Rasen, schneiden Hecken, kratzen Fugen, streichen Außenmöbel und vieles mehr - bei (fast) jedem Wind und Wetter. „Wir sind froh über die Hilfe, schließlich werden wir auch nicht jünger!", so lautet die Rückmeldung aus dem Vorstand des Fördervereins. Und von der „anderen Seite" der Straße ist zu hören: ,,Sonst hockt man auf seiner Stube und so ist man an der frischen Luft und macht etwas Sinnvolles, das tut gut!". Eine klassische „Win-Win-Situation", für die sich regelmäßig freiwillige Gefangene melden.

Fazit

Die Gefangenen zeigen mit ihren eigenen Talenten und Fähigkeiten, dass sie als Teil der Gesellschaft das Leben anderer Menschen leichter machen können. Sie merken, dass sie etwas Gutes tun und etwas gestalten, was ihnen und anderen Freude macht. Zudem sind bei vielen der ehrenamtlich engagierten Gefangenen deutlich positive Verhaltensveränderungen im sozialen Miteinander zu beobachten. Die bisherigen Erfahrungen zeigen u.a., dass Gefangene bei der Bewältigung der ehrenamtlichen Aufgaben neue Strategien im Umgang sowie in der Kommunikation mit anderen Menschen entwickeln. Im Ergebnis ist die ehrenamtliche Tätigkeit von Gefangenen als ein weiteres wichtiges Behandlungsinstrument zu betrachten, um das Ziel des Vollzuges - die Gefangenen zu befähigen, in der Zukunft in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen - zu erreichen. Die ehrenamtliche Tätigkeit stellt damit für Gefangene eine weitere sinnvolle Resozialisierungsmaßnahme dar. Es gilt also: ,,Ehrenamt für Jeden und von Jedem!"