Mobiltelefone im Vollzug? Dies bedeutet in der vollzuglichen Praxis regelmäßig, dass ein schuldhafter Pflichtenverstoß vorliegt und gegen Gefangene Disziplinarmaßnahmen angeordnet werden. Daneben werden in vielen Fällen erteilte begünstigende Genehmigungen (z.B. Arbeitserlaubnis) widerrufen und Sicherungsmaßnahmen angeordnet. Schließlich werden durch eine solch schwerwiegende Verfehlung die Sicherheit und das geordnete Miteinander innerhalb einer Justizvollzugsanstalt gefährdet. In den Anstalten des offenen Vollzugs können, besonders im Wiederholungsfall, der unerlaubte Gewahrsam eines Mobiltelefons und die damit einhergehende Störung des geordneten Miteinanders das Ende der Unterbringung der betreffenden Gefangenen im offenen Vollzug bedeuten.

Allerdings ist das Mobiltelefon mittlerweile integraler Bestandteil der heutigen Lebenswelt. Aus einer digitalen Welt ist das Mobiltelefon nicht mehr wegzudenken. Es ist zentrales Kommunikationsmittel zwischen Familienangehörigen, Freunden sowie in der Schule, Ausbildung oder der Berufswelt - außerhalb der Mauern der Gefängnisse.

Mobiltelefonnutzung während vollzugsöffnender Maßnahmen

Im Hinblick auf diesen Alltag spielt das Mobiltelefon für die Gefangenen im offenen Vollzug eine große Rolle. Die Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne konnte daher bereits in der Vergangenheit hinreichende Erfahrungen im Umgang mit Mobiltelefonen für Gefangene sammeln. Die Nutzung war bisher ausnahmslos außerhalb der Anstalt, bei der Gewährung von vollzugsöffnenden Maßnahmen wie Ausgängen oder Langzeitausgängen oder aber bei Arbeitseinsätzen - während der Pausen und auf den Arbeitswegen - in Unternehmerbetrieben oder bei freien Beschäftigungsverhältnissen möglich. Lediglich in Einzelfällen wird die Nutzung der Mobiltelefone außerhalb der Anstalt untersagt oder eingeschränkt. Dies kommt etwa bei schwerwiegenden Delikten, welche mittels Mobiltelefon begangenen worden sind und bei denen eine konkrete Wiederholungsgefahr besteht, in Betracht. In diesen Fällen wird die Nutzung eines Mobiltelefons untersagt. In weniger schwerwiegenden Fällen kommt die Zulassung der Gefangenen zur Nutzung eines funktionsreduzierten Mobiltelefons (beschränkt auf Telefonate und SMS) in Betracht. Die davon betroffenen Gefangenen können sich dann etwa bei einem Ausgang ein funktionsreduziertes Mobiltelefon kaufen. Die Kosten dafür haben die Gefangenen zu tragen. Die Entscheidung über die Zulassung der Gefangenen zur Mobiltelefonie wird im Rahmen einer Vollzugskonferenz erörtert und getroffen und im Vollzugsplan dokumentiert. Die Mobiltelefone der Gefangenen werden nicht - wie etwa im geschlossenen Vollzug - bei der Habe der Gefangenen auf der Kammer aufbewahrt, sondern in sog. ,.Handyschränken" außerhalb der Haftbereiche. Fast jeder Gefangene besitzt für sein Mobiltelefon ein eigenes Schließfach in einem der „Handyschränke" in den zwei Hafthäusern oder 15 Außenstellen der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne.

Corona-Pandemie als Chance für Mobiltelefone im offenen Vollzug

Im Hinblick auf die Corona-Pandemie sind in Nordrhein-Westfalen - wie auch in den übrigen Bundesländern - u.a. der Gefangenenbesuch sowie die Gewährung von vollzugsöffnenden Maßnahmen auf ein Minimum reduziert worden. Für die Gefangenen des offenen Vollzuges bedeutete dies eine gravierende Beschränkung der im Strafvollzug ohnehin eingeschränkten sozialen Kontakte.

Vor diesem Hintergrund hat das Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen erstmals ab dem 19.03.2020 als Kompensation für den Ausfall des Besuchs und der vollzugsöffnenden Maßnahmen die Mobiltelefonnutzung für Gefangene im offenen Vollzug gestattet. Die Mobiltelefonie war demnach unter engen Rahmenbedingungen nur in geeigneten Anstaltsbereichen (in den jeweiligen Besuchsbereichen/unter Berücksichtigung der jeweiligen örtlichen und personellen Gegebenheiten), in denen eine kontrollierte Ausgabe und Rücknahme der Mobiltelefone an die Inhaftierten gewährleistet werden kann, ausnahmsweise stundenweise für eine bestimmte Tageszeit zugelassen. Die unkontrollierte Nutzung von Mobiltelefonen durch Inhaftierte auf dem Anstaltsgelände wurde selbstverständlich weiterhin ausdrücklich untersagt. Die Erlaubnis der Nutzung von Mobiltelefonen war gekoppelt an die Beschränkungen der Pandemie. Infolgedessen wurde die Erlaubnis - im Hinblick auf die dynamische Entwicklung der Pandemie -widerrufen, aber auch erneut erteilt.

Erfahrungen während der Corona-Pandemie

In der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne war den Gefangenen die Nutzung der Mobiltelefone in der arbeitsfreien Zeit bzw. ab 17.00 Uhr möglich. In den Außenstellen der hiesigen Anstalt wurde die Nutzung überwiegend in den Freistundenbereichen gestattet; in den Hafthäusern war die Nutzung auf die Besuchsbereiche beschränkt. In beiden Bereichen ist das Missbrauchsrisiko äußerst gering. Die Inhaftierten hatten so die Möglichkeit, mit ihren Angehörigen zu sprechen oder z.B. via Facetime/Videotelefonie Kontakt zu halten. Es gab Gefangene, die sich trotz der Pandemie-Einschränkungen per E-Mail Termine, etwa für Wohnungsbesichtigungen, organisiert haben. Zudem konnten die Gefangenen für sie wichtige Angelegenheiten ohne Umwege über die Bediensteten selbst regeln. Schüler konnten z.B. Kontakt zur Schule halten. Ferner sparten die Gefangenen Telefonkosten, da die Gebühren bei der Flurtelefonie deutlich höher liegen. Dazu haben die unmittelbar mit der Nutzung der Mobiltelefone befassten Bediensteten berichtet, dass die überwiegende Anzahl der Gefangenen durch den regelmäßigen Kontakt zu Angehörigen stabiler, ruhiger und zufriedener wirkte.

Dauerhafte Zulassung von Mobiltelefonen

Im Hinblick auf die positiven Erfahrungen hat das Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen mit Erlass vom 31.03.2021 die Mobiltelefonie für Gefangene im offenen Vollzug dauerhaft genehmigt. Die Möglichkeit der Nutzung von Mobiltelefonen ist in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne allerdings nur unter folgenden engen Rahmenbedingungen zugelassen:

Genehmigungsverfahren

Über die Genehmigung ist in der ersten Vollzugsplankonferenz mit den an der Behandlung maßgeblich Beteiligten zu beraten. Die Gefangenen müssen für die Erteilung der Genehmigung geeignet sein. Für die Feststellung der Eignung müssen Erkenntnisse über die Gefangenen vorliegen, welche die Nutzung eines Mobiltelefons und das damit zeitweise Absehen von einer Überwachung rechtfertigen. Dazu dient regelmäßig die mehrwöchige Beobachtungsphase vor Erstellung des ersten Vollzugsplans.

Ungeeignet für die Zulassung zur Nutzung eines Mobiltelefons sind regelmäßig Gefangene,

  • die Straftaten in Zusammenhang mit einem Mobiltelefon begangenen haben (z.B. Verbreitung kinderpornografischer Schriften, Betrügereien bei An- und Verkaufsportalen im Internet),
  • die während des Besuchs oder bei Rückkehr aus vollzugsöffnenden Maßnahmen mit dem Einbringen von nicht erlaubten Gegenständen
  • aufgefallen sind,
  • von denen zu befürchten ist, dass sie andere Personen außerhalb der Anstalt mittels Mobiltelefon unter Druck setzen.

In diesen Fällen kommt ausnahmsweise eine Zulassung oder Wiederzulassung zur Nutzung eines Mobiltelefons in Betracht, wenn besondere Umstände vorliegen, die aktenkundig zu machen sind. Ferner kann die Genehmigung zur Erteilung eines funktionsreduzierten Mobiltelefons erteilt werden, sofern die Gefangenen dafür geeignet erscheinen. Bei der Entscheidung werden von der Anstalt oder externen Stellen angeordnete Kontaktverbote zu Tatopfern und anderen Personen entsprechend berücksichtigt. Die Genehmigung wird in einer Konferenzniederschrift dokumentiert und den Gefangenen zusammen mit dem ersten Vollzugsplan eröffnet.

Im Übrigen werden die Gefangenen bereits während der Erstaufnahme auf die Möglichkeit des Auslesens von Datenspeichern belehrt. Gleichwohl werden sie im Rahmen des Genehmigungsverfahrens nochmals auf § 26 JVollzDSG NRW hingewiesen.

Dauer, Häufigkeit und Nutzungsbereiche

Mobiltelefone dürfen von den Gefangenen in der Regel bis zu dreimal wöchentlich für je eine Stunde genutzt werden. Die jeweiligen Zeiten und Tage werden von den zwei Hafthäusern und 15 Außenstellen unter Berücksichtigung der örtlichen organisatorischen und personellen Gegebenheiten festgesetzt. Die Nutzung der Mobiltelefone ist ausschließlich in den vorgesehenen Bereichen der Hafthäuser (Besuchsbereiche) und Außenstellen (Besuchsbereich oder Freistundenhof) – also außerhalb der Haftbereiche - gestattet. Sollte es im Hinblick auf die Räume zu Kapazitätsengpässen kommen, werden die zugelassenen Gefangenen bevorzugt berücksichtigt, die während der Beschäftigung innerhalb oder außerhalb der Anstalt keine Gelegenheit für die Nutzung eines Mobiltelefons haben.

Überwachung und Beaufsichtigung

In den o.a. zugelassenen Bereichen erfolgt eine optische Kontrolle in unregelmäßigen Zeitabständen von nicht mehr als 20 Minuten.

Ausgabe, Aufbewahrung und Aufladen

Die Ausgabe und Aufbewahrung der Mobiltelefone erfolgt in den dafür vorgesehenen Schließfächern in sog. ,,Handyschränken" in den Hafthäusern und den Außenstellen. Grundsätzlich erfolgt das Aufladen der Mobiltelefone außerhalb der Anstalt auf Kosten der Gefangenen. Diese können die Mobiltelefone im Rahmen von vollzugsöffnenden Maßnahmen aufladen. In Einzelfällen kann ausnahmsweise das einmalige Aufladen eines Mobiltelefons innerhalb und auf Kosten der Anstalt genehmigt werden, sofern dafür besondere Gründe vorliegen, die aktenkundig zu machen sind.

Widerruf

Ein Widerruf der Genehmigung erfolgt etwa bei

  • Alkohol- oder Drogenfund,
  • Alkohol- oder Drogenkonsum,
  • Einbringen/Übergabe von Geld, Alkohol, Drogen und anderen verbotenen Gegenständen,
  • Anordnung von Sicherungsmaßnahmen,
  • Bekanntwerden von Erkenntnissen über neue Ermittlungs-/Strafverfahren im Zusammenhang mit der Nutzung eines Mobiltelefons,
  • Verstoß gegen angeordnete Kontaktverbote mittels Mobiltelefon,
  • Besitz oder Nutzung eines Mobiltelefons außerhalb des dafür vorgesehenen Bereichs,
  • Fertigung von Bildaufnahmen innerhalb der Anstalt.

Der Widerruf für die Nutzung eines Mobiltelefons innerhalb der Anstalt erfolgt je nach Schwere der Verfehlung bis zu einem Zeitraum von sechs Monaten.

Erfahrungen nach der grundsätzlichen Zulassung der Mobiltelefonie

Bisher hat sich die Zulassung der Mobiltelefonie im offenen Vollzug unter den vorgenannten engen Rahmenbedingungen bewährt. Die gewonnenen positiven Erfahrungen aus der Vergangenheit haben sich bis heute bestätigt.

Bisher hier nicht eingetreten sind die regelmäßig in diesem Zusammenhang geäußerten Befürchtungen

  • missbräuchliche Nutzung (Ton- und Bildaufnahmen, Online-Glücksspiel etc.),
  • einschmuggeln von Mobiletelefonen,
  • erhöhter Kontrollaufwand,
  • Schulden aus Verträgen mit Mobilfunkanbietern,
  • Bestellung von Drogen.

In Anbetracht dieser Umstände findet die Zulassung von Mobiltelefonen für Gefangene bislang eine hohe Akzeptanz bei den Bediensteten.

Fazit

Das Mobiltelefon ist heutzutage ein alltäglicher Gebrauchsgegenstand und nicht mehr wegzudenken. Nach unserer Ansicht entspricht es daher dem Angleichungsgrundsatz, die strukturierte Nutzung eines Mobiltelefons innerhalb einer Justizvollzugsanstalt unter engen Rahmenbedingungen zuzulassen. Die Gefangenen erhalten dadurch im offenen Vollzug die Möglichkeit, ein alltägliches Kommunikationsmittel zu nutzen, ohne hierfür auf eine vollzugsöffnende Maßnahme angewiesen zu sein.

§ 26 Auslesen von Datenspeichern, Verarbeitung, Löschung

(1) Elektronische Datenspeicher sowie elektronische Geräte mit Datenspeichern. die Gefangene ohne Erlaubnis der Anstalt in Gewahrsam haben. dürfen auf einzelfallbezogene schriftliche Anordnung der Anstaltsleitung ausgelesen werden, soweit tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen. dass dies zu vollzuglichen oder zu den in§ 12 Absatz 2 Nummer 2, 4 oder 5 genannten Zwecken erforderlich ist. Die so erhobenen Daten dürfen nur verarbeitet werden, soweit dies zu den in Satz 1 genannten Zwecken erforderlich ist.

(2) Die nach Absatz 1 erhobenen Daten dürfen nicht weiter verarbeitet werden, soweit sie

  1. zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung Dritter gehören oder
  2. zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung Gefangener gehören und die weitere Verarbeitung auch unter Berücksichtigung der in Absatz 1 genannten vollzuglichen Interessen an der Verarbeitung sowie der Unzulässigkeit des Besitzes und der Nutzung des Datenspeichers für die betroffenen Gefangenen unzumutbar ist.

Insoweit sind die Daten unverzüglich zu löschen. Die Erfassung und die Löschung der Daten sind zu dokumentieren. Die Dokumentation darf ausschließlich für Zwecke der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Sie ist zu löschen, wenn sie für diese Zwecke nicht mehr erforderlich ist, spätestens jedoch am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Dokumentation folgt.

(3) Die Gefangenen sind bei der Aufnahme über die Möglichkeit des Auslesens von Datenspeichern zu belehren.

(4) Die Absätze, bis 3 finden im Jugendarrest keine Anwendung.